Donnerstag, 9. Juni 2016



Kapitel III

Ich spürte das leichte Echo einer Person in der Wohnung. Ganz greifen konnte ich es nicht, aber es gab Hinweise. Wäsche hing zum Trocknen im Wohnzimmer, verströmte den angenehmen Geruch der Frische, lauwarmer Kaffee stand in der Küche, daneben lag eine Packung Zigaretten. Das Geschirr war abgewaschen und stand noch leicht feucht in der Spüle. Ja, es war jemand da gewesen. Zwei Tassen, zwei Teller, oder waren beide von mir? Ziellos ging ich umher, zog die Vorhänge in den Räumen zu, schaute Probeweise noch ein weiteres Mal in alle Zimmer, ob noch jemand da war, aber mir begegnete nur Leere. Ich setzte mich in die Küche und schenkte mir eine Tasse Kaffee ein. Schwarz, wie ich ihn mochte. Ich mochte ihn doch schwarz? Versuchsweise nahm ich einen Schluck, ja ich mochte ihn schwarz. Ich wollte mir eine Zigarette nehmen, als mein Blick auf einen kleinen Zettel fiel. Die Handschrift erkannte ich verwundert als meine. Darüber nachdenken, ob ich neue Menschen kennen lernen wollte! Begeistert betrachtete ich die Worte. Warum hatte ich das geschrieben? Wie merkwürdig. Das unheimliche daran war jedoch, dass es ein Zeugnis von Vergangenem war. Es war real, wenn auch vergangen. Ein leichtes Frösteln durchfuhr mich. Das war interessant. Ich las die Nachricht wieder und wieder. Mir kam eine unglaubliche Erkenntnis. Ich konnte meinem zukünftigen Ich Nachrichten hinterlassen. Wirklich unglaublich. Kopfschüttelnd dachte ich über die Botschaft nach. Andere Menschen? Mir war ein wenig unbehaglich zumute. Was sprach man mit anderen Menschen? Das würde ich herausfinden müssen, eigentlich keine so schlechte Idee. Es war aufregend. Mir kam ein Einfall. Hell begeistert griff ich nach einem Stift und schrieb darunter: Keine schlechte Idee. Könnte ich mit meinem vergangenen Selbst eine Unterhaltung führen? Während ich auf eine Antwort wartete, zündete ich mir eine Zigarette an. Eine Weile stierte ich auf den Zettel, aber nichts geschah. Schulterzuckend blickte ich an die Decke und versuchte ein paar Rauchringe zu blasen, aber es gelang mir nicht wirklich. Das würde ich noch üben müssen, dachte ich mir. Ich lachte auf. Sorgfältig schrieb ich die Notiz: Rauchringe üben. Eine Zeit lang betrachtete ich die Botschaft, irgendetwas fehlte. Ich las die Nachricht davor durch. Sie hatte mehr Kraft. Das Rufzeichen! Ja. Wundervoll. Stolz strich ich über das Papier.

Kapitel IV

Die Sonne schien und es regnete. Fein zeichnete sich über den Häusern ein Regenbogen ab. Der Regen war von einer sanften, erfrischenden Natur. Die Art von Regen, die man unglaublich genießen konnte. Ich legte den Kopf in den Nacken und spürte mein Gesicht von dieser warmen Nässe benetzen, ergänzt von einem liebevollen Kuss der Sonne, der mal schwand, dann wieder auftauchte. Es war fremd und dennoch irgendwie bekannt. Lange war es her, dass ich ein solches Gefühl gehabt hatte, soviel war mir klar. Es kam mir vor, wie die Begegnung mit einem Menschen, den ich nur selten und nicht sehr intensiv vor einer langen Zeit getroffen hatte. Weniger eine Erinnerung, als vielmehr eine Ahnung. Ich mochte solche Ahnungen, sie verliehen dem Fremden etwas, das meine Neugierde weckte.
Mit geschlossenen Augen verharrte ich einige Minuten. Lauschte dem Plätschern, der aufprallenden Tropfen, spürte sie mich sanft bedecken. Lächelnd öffnete ich die Augen und blickte mich um. Für einen Moment war ich orientierungslos. Ich spürte Panik nach mir greifen, nervös spürte ich meinen Herzschlag beschleunigen, den Atem unregelmäßiger, schneller gehen, bis eine Hand beruhigend meine Schulter berührte und ich Verena entgegen blickte. Erleichtert atmete ich auf. Ein leichter Stoß in den Rücken von einem Lachen begleitet und ich ging weiter. Es fiel mir jedoch unglaublich schwer mich auf das Gehen zu konzentrieren. Es gab so vieles, das meine Aufmerksamkeit fesselte. Verena plapperte etwas, aber ich konnte dem nicht folgen, viel interessanter waren die Menschen, Häuser, Vögel, Bäume. Ihre Formen, Farben, faszinierenden Gerüche und Geräusche. Ich musste alles berühren, sie wahrnehmen mit allen Sinnen. Aus Fenstern drang laut Musik auf die Straße, vermischte sich mit dem aufbrausen der Autos, dem Rauschen der im Wind wogenden Wipfel der Bäume. Das merkwürdige war, dass mir alles entfernt bekannt vorkam, ich versuchte es zu begreifen, aber es entglitt mir ein jedes Mal. Ich stoppte bei einer alten Eiche und tastete nach der rauen Rinde. Woher wusste ich, dass dies eine Eiche war? Ich blickte zur Krone empor. Woher kamen diese Bezeichnungen. Es war nicht logisch. Mein Herz begann wieder schneller zu schlagen und Panik ergriff mich von neuem. Ich wollte hier weg. Wollte hier bleiben. Wusste nicht, was zu tun. Die Häuser in ihrer Größe begannen sich zu wölben, drohten auf mich herab zu stürzen. Was geschah hier. Ein stummer Schrei entfuhr mir. Ich bekam Angst, schreckliche Angst. Alles wurde lauter, immer lauter. In gewaltigen Wellen stürzte alles auf mich ein. Ein Farbwirbelsturm umgab, umschloss mich. Das Atmen wurde schwer, immer schwerer. Warum? Was geschah hier. Gehetzt blickte ich mich um, nahm nur verschwommene Konturen wahr. Der Ruf nach Hilfe erlahmte auf meinem Weg zu den Stimmbändern, verhallte ungehört in meinem Innern. Alles wurde schwarz.

Kapitel V

Es war ein kühler Frühlingsmorgen und der Kauz unterhielt sich mit seinem Echo. Silbriger Frost bedeckte die noch welke Waldwiese. Zaghaft warf die Sonne ihr Licht durch die leicht knospenden Baumwipfel. Die Welt schien ihren Atem angehalten zu haben. Knisternd zerbrach das Gras bei jedem seiner Schritte, hinterließ die Ahnung seiner Anwesenheit. Aber wer war er? Er war Künstler, war Träumer, Macher und Pragmat. Er war zuverlässig wenn ihm etwas wichtig erschien, jedoch unzuverlässig wenn es ihm zu belanglos wirkte. Er genoss die Nähe von Frauen, wünschte sich jedoch jedes Mal mehr, fühlte sich leer und unerfüllt im Körperlichen, kam es dann zu Gefühlen war er distanziert und unnahbar. Ein Reisender, der die Geborgenheit schätzte. Lehrer, Weiser, Priester von gar naiv närrischer und weltlicher Natur. Er war Goldmund, war Narziß, war ein Mensch unter Menschen. Und hier stand nun dieser Mensch namens Sebastian. Genoss die Ruhe, die Einsamkeit, fühlte sich aber verloren, nach Gesellschaft sehnend. So wünschte er den Ruf des Kauzes zu erwidern, würde gern seinen Geschichten lauschen, wie auch er ein Teil des Waldes werden. Aber seine Lippen blieben verschlossen. Und so blieb es ein Wunsch.
Im Kreise drehend bewunderte er die ihn umgebenden Bäume, während er dichte, weiße Wolken ausatmete, die alsbald Teil des kühlen Windes wurden. Fröstelnd grub er sich tiefer in die wärmende Decke, als er mit einer Träne im Augenwinkel erwachte. Denn er hatte alles wieder vergessen.

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