Kapitel III
Ich spürte das leichte Echo einer Person in der Wohnung.
Ganz greifen konnte ich es nicht, aber es gab Hinweise. Wäsche hing zum
Trocknen im Wohnzimmer, verströmte den angenehmen Geruch der Frische, lauwarmer
Kaffee stand in der Küche, daneben lag eine Packung Zigaretten. Das Geschirr
war abgewaschen und stand noch leicht feucht in der Spüle. Ja, es war jemand da
gewesen. Zwei Tassen, zwei Teller, oder waren beide von mir? Ziellos ging ich
umher, zog die Vorhänge in den Räumen zu, schaute Probeweise noch ein weiteres
Mal in alle Zimmer, ob noch jemand da war, aber mir begegnete nur Leere. Ich
setzte mich in die Küche und schenkte mir eine Tasse Kaffee ein. Schwarz, wie
ich ihn mochte. Ich mochte ihn doch schwarz? Versuchsweise nahm ich einen
Schluck, ja ich mochte ihn schwarz. Ich wollte mir eine Zigarette nehmen, als
mein Blick auf einen kleinen Zettel fiel. Die Handschrift erkannte ich
verwundert als meine. Darüber nachdenken,
ob ich neue Menschen kennen lernen wollte! Begeistert betrachtete ich die
Worte. Warum hatte ich das geschrieben? Wie merkwürdig. Das unheimliche daran
war jedoch, dass es ein Zeugnis von Vergangenem war. Es war real, wenn auch
vergangen. Ein leichtes Frösteln durchfuhr mich. Das war interessant. Ich las
die Nachricht wieder und wieder. Mir kam eine unglaubliche Erkenntnis. Ich
konnte meinem zukünftigen Ich Nachrichten hinterlassen. Wirklich unglaublich.
Kopfschüttelnd dachte ich über die Botschaft nach. Andere Menschen? Mir war ein
wenig unbehaglich zumute. Was sprach man mit anderen Menschen? Das würde ich
herausfinden müssen, eigentlich keine so schlechte Idee. Es war aufregend. Mir
kam ein Einfall. Hell begeistert griff ich nach einem Stift und schrieb
darunter: Keine schlechte Idee. Könnte
ich mit meinem vergangenen Selbst eine Unterhaltung führen? Während ich auf
eine Antwort wartete, zündete ich mir eine Zigarette an. Eine Weile stierte ich
auf den Zettel, aber nichts geschah. Schulterzuckend blickte ich an die Decke
und versuchte ein paar Rauchringe zu blasen, aber es gelang mir nicht wirklich.
Das würde ich noch üben müssen, dachte ich mir. Ich lachte auf. Sorgfältig
schrieb ich die Notiz: Rauchringe üben. Eine
Zeit lang betrachtete ich die Botschaft, irgendetwas fehlte. Ich las die
Nachricht davor durch. Sie hatte mehr Kraft. Das Rufzeichen! Ja. Wundervoll.
Stolz strich ich über das Papier.
Kapitel IV
Die Sonne schien und es regnete. Fein zeichnete sich über
den Häusern ein Regenbogen ab. Der Regen war von einer sanften, erfrischenden
Natur. Die Art von Regen, die man unglaublich genießen konnte. Ich legte den
Kopf in den Nacken und spürte mein Gesicht von dieser warmen Nässe benetzen,
ergänzt von einem liebevollen Kuss der Sonne, der mal schwand, dann wieder
auftauchte. Es war fremd und dennoch irgendwie bekannt. Lange war es her, dass
ich ein solches Gefühl gehabt hatte, soviel war mir klar. Es kam mir vor, wie
die Begegnung mit einem Menschen, den ich nur selten und nicht sehr intensiv
vor einer langen Zeit getroffen hatte. Weniger eine Erinnerung, als vielmehr
eine Ahnung. Ich mochte solche Ahnungen, sie verliehen dem Fremden etwas, das
meine Neugierde weckte.
Mit geschlossenen Augen verharrte ich einige Minuten.
Lauschte dem Plätschern, der aufprallenden Tropfen, spürte sie mich sanft
bedecken. Lächelnd öffnete ich die Augen und blickte mich um. Für einen Moment
war ich orientierungslos. Ich spürte Panik nach mir greifen, nervös spürte ich
meinen Herzschlag beschleunigen, den Atem unregelmäßiger, schneller gehen, bis
eine Hand beruhigend meine Schulter berührte und ich Verena entgegen blickte. Erleichtert
atmete ich auf. Ein leichter Stoß in den Rücken von einem Lachen begleitet und
ich ging weiter. Es fiel mir jedoch unglaublich schwer mich auf das Gehen zu
konzentrieren. Es gab so vieles, das meine Aufmerksamkeit fesselte. Verena
plapperte etwas, aber ich konnte dem nicht folgen, viel interessanter waren die
Menschen, Häuser, Vögel, Bäume. Ihre Formen, Farben, faszinierenden Gerüche und
Geräusche. Ich musste alles berühren, sie wahrnehmen mit allen Sinnen. Aus
Fenstern drang laut Musik auf die Straße, vermischte sich mit dem aufbrausen
der Autos, dem Rauschen der im Wind wogenden Wipfel der Bäume. Das merkwürdige
war, dass mir alles entfernt bekannt vorkam, ich versuchte es zu begreifen,
aber es entglitt mir ein jedes Mal. Ich stoppte bei einer alten Eiche und
tastete nach der rauen Rinde. Woher wusste ich, dass dies eine Eiche war? Ich
blickte zur Krone empor. Woher kamen diese Bezeichnungen. Es war nicht logisch.
Mein Herz begann wieder schneller zu schlagen und Panik ergriff mich von neuem.
Ich wollte hier weg. Wollte hier bleiben. Wusste nicht, was zu tun. Die Häuser
in ihrer Größe begannen sich zu wölben, drohten auf mich herab zu stürzen. Was
geschah hier. Ein stummer Schrei entfuhr mir. Ich bekam Angst, schreckliche
Angst. Alles wurde lauter, immer lauter. In gewaltigen Wellen stürzte alles auf
mich ein. Ein Farbwirbelsturm umgab, umschloss mich. Das Atmen wurde schwer, immer
schwerer. Warum? Was geschah hier. Gehetzt blickte ich mich um, nahm nur verschwommene
Konturen wahr. Der Ruf nach Hilfe erlahmte auf meinem Weg zu den Stimmbändern,
verhallte ungehört in meinem Innern. Alles wurde schwarz.
Kapitel V
Es war ein kühler Frühlingsmorgen und der Kauz unterhielt
sich mit seinem Echo. Silbriger Frost bedeckte die noch welke Waldwiese.
Zaghaft warf die Sonne ihr Licht durch die leicht knospenden Baumwipfel. Die
Welt schien ihren Atem angehalten zu haben. Knisternd zerbrach das Gras bei
jedem seiner Schritte, hinterließ die Ahnung seiner Anwesenheit. Aber wer war
er? Er war Künstler, war Träumer, Macher und Pragmat. Er war zuverlässig wenn
ihm etwas wichtig erschien, jedoch unzuverlässig wenn es ihm zu belanglos
wirkte. Er genoss die Nähe von Frauen, wünschte sich jedoch jedes Mal mehr,
fühlte sich leer und unerfüllt im Körperlichen, kam es dann zu Gefühlen war er
distanziert und unnahbar. Ein Reisender, der die Geborgenheit schätzte. Lehrer,
Weiser, Priester von gar naiv närrischer und weltlicher Natur. Er war Goldmund,
war Narziß, war ein Mensch unter Menschen. Und hier stand nun dieser Mensch
namens Sebastian. Genoss die Ruhe, die Einsamkeit, fühlte sich aber verloren,
nach Gesellschaft sehnend. So wünschte er den Ruf des Kauzes zu erwidern, würde
gern seinen Geschichten lauschen, wie auch er ein Teil des Waldes werden. Aber
seine Lippen blieben verschlossen. Und so blieb es ein Wunsch.
Im Kreise drehend bewunderte er die ihn umgebenden Bäume,
während er dichte, weiße Wolken ausatmete, die alsbald Teil des kühlen Windes
wurden. Fröstelnd grub er sich tiefer in die wärmende Decke, als er mit einer
Träne im Augenwinkel erwachte. Denn er hatte alles wieder vergessen.
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