Dienstag, 24. März 2015

Eine Lektüre

Ein dumpfes Pochen. Er öffnet die Tür. Leere. Verwundert zieht er eine Augenbraue herauf und schließt die Tür. Kurze zeit später. Ein dumpfes Pochen. Er springt an die Tür. Öffnet sie. Leere. Nun wandern beide Augenbrauen in die Höhe. Verwunderung. Langsam schließt er die Tür, nicht ohne ein weiteres Mal auf den Flur hinaus zu spähen. Jedoch nur Leere, also fällt die Tür ins Schloss. Er schüttelt den Kopf. Lacht über sein irritierendes Gehör, setzt sich in den Sessel, alt braun, ein wenig zerfetzt, jedoch gemütlich. Eine Zigarette wird angezündet, das Buch aufgeschlagen. Zwei Sätze ließt er. Ein dumpfes Pochen. Er sieht auf, schüttelt schmunzelnd den Kopf, widmet sich seiner Lektüre. Die Lektüre: weiß, gebunden, golden stehen die Initialen G.G. auf dem Buchrücken, der Inhalt scheint den Lesenden zu amüsieren. Er grinst. Ein dumpfes Pochen. Das Grinsen erstirbt. Die Lektüre beiseite gelegt. Er schmaucht seine Zigarette, bläst den blauen Dunst Richtung Tür, ganz so als wolle er jenes Geräusch verscheuchen. Vergebens. Ein dumpfes Pochen. Langsam, ernste Miene. Er nähert sich der Tür, öffnet diese. Leere. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. Verärgert wirft er die Zigarette auf den Flur, schließt die Tür. Setzt sich erneut. Nimmt sein Buch zur Hand, schlägt es nicht auf, sein Gemüt zu erregt. Er lauscht. Er wartet. Nichts. Das Buch wird aufgeschlagen. In diesem Moment. Ein dumpfes Pochen. Ruhe. Er analysiert dieses Geräusch. Neigt den Kopf. Ein dumpfes Pochen. Legt das Buch beiseite. Er betritt sein Schlafzimmer. Schüttelt den Kopf. Verlässt es. Das Schlafzimmer: Dunkel, ein kleines Fenster, kahl, ja leer, bis auf ein leicht verstaubtes Bett. Scheint zuletzt vor Monaten benutzt. Die Schlafzimmertür wird geschlossen. Die Küchentür geöffnet. Nasenrümpfen. Die Augenbrauen neugierig erhoben. Der Blick suchend. Der Kopf geneigt. Er blickt über ungewaschenes Geschirr, verschimmelnd in der Spüle liegend. Die Kühlschranktür geöffnet. Dunkelheit, Spinnweben. Er öffnet das Fenster. Späht hinaus, erfasst alles. Leere. Er schüttelt den Kopf. Schließt das Fenster. Betritt sein Arbeitszimmer. Nimmt ein unvollkommenes Manuskript vom Schreibtisch, blickt auf den Titel. Lässt es achtlos fallen. Ein dumpfes Pochen. Er nähert sich dem Bücherregal. Horcht. Wartet. Schließt die Augen. Öffnet sie wieder. Vor seinen Augen breiten sich Unmengen seiner Bücher aus, schlagen auf, schlagen zu. Ein dumpfes Pochen. Ein Bücherturm wächst. Wird höher, wird breiter, er erkennt keine Bewegung. Ist umschlossen. Erstaunt inspiriert erhebt er seinen Kopf. Wird erschlagen. Wird zum Wort. .-
Ein Tag, wie jeder Andere.

Stille. Ab und an das Rascheln von Seiten. Das Telefon klingelt ungehört in der leeren Wohnung. Nach einigen Minuten gibt der Anrufer auf, wirft alles wieder in gewohnte Stille. Schlafzimmer und Küche sind in Dunkelheit getaucht, nur aus dem Arbeitszimmer dringt der schwache, fahle Schein einer einzelnen Lampe. Sie steht auf einem Tisch, beleuchtet den Seismographen, wie er beharrlich und stumm seine geraden Linien fährt. Auch ist das Buch in den Händen des jungen Mannes gerade zum Lesen ausreichend in Licht getaucht. Eine Seite wird raschelnd umgeblättert. Blind greift er nach der Kaffeetasse und nimmt einen Schluck. Mit angewiderter Miene wird sie jedoch achtlos wieder auf den Tisch gestellt. Den Kaffee lauwarm zu nennen wäre noch ein Kompliment gewesen. Zeitlupen gleich fällt die Tasse um und sprenkelt den Tisch mit dunkel braunen Flecken. Seufzend blickt er von seinem Buch auf und folgt gelangweilt dem Werken des Seismographen. Ein resigniertes Kopfschütteln. Er zieht eine schlanke Zigarette aus der Brusttasche seines ausgeblichenen Hemdes. Die ursprüngliche Farbe lässt sich nicht einmal erahnen. Das Klicken des Feuerzeugs hallt durch die Wohnung. Kurz sind seine traurigen, müden Gesichtszüge in dichten, blauen Dunst gehüllt. Verborgen sind die tiefen Augenringe und die vom Schlafmangel geröteten Augen. Die kleine Schreibtischlampe lässt die Furchen auf seiner Stirn noch tiefer erscheinen und das lange fettige Haar ist im Schatten nur zu erahnen. Genervt stöhnend lehnt er sich im Bürostuhl zurück und blickt an die Decke. Sie ist vom Alter fleckig und hier und da blättert der Putz von den Wänden. Die Zigarette wird im überquellenden Aschenbecher ausgedrückt, überall auf dem Tisch liegen bereits die Zigarettenstummel verteilt. Einige Fliegen sitzen auf den Resten einer kalten, alten Pizza. Er steht auf und geht seine Muskeln lockernd hinüber zum Fenster. Der Blick hinaus muntert nicht wirklich auf. Finsternis, eine Hauswand, keinen Meter vor ihm. In der spärlich beleuchteten Gasse unter ihm sammelt sich der Müll vieler Generation, keiner hatte sich je die Mühe gemacht ihn wegzuräumen und so wuchs und wuchs er mit den Anwohnern. Er schließt das Fenster und dreht sich um, um wieder an seinen gewohnten Platz zu wanken. Aber etwas hatte sich verändert. Sein Herz beginnt schneller und schneller zu schlagen, noch ehe er ahnt, dass etwas nicht stimmt. Er kann sich nicht bewegen. Etwas hält ihn am Boden. Erschrocken schreit er auf. Eine Flüssigkeit. Sie kriecht an ihm empor, umgibt seine Beine. Verzweifelt versucht er sie loszuwerden. Abzureißen. Abzuschütteln. Vergebens. Sein Herz springt beinahe aus seiner Brust. Adrenalin pumpt, schießt durch seine Adern. Er wirft sich hin und her, unfähig etwas zu ändern, ohnmächtig. Sie hatte nun seine Brust erreicht Kriecht immer weiter, ummantelt seinen Oberkörper, strebt seinen Hals empor. Tief atmet er ein und seufzt gedehnt. Als er die Augen schließt, verschlingt die Flüssigkeit seinen Kopf. Das Blut rauscht in seinen Ohren. Warm pulsiert, prickelt seine Haut. Verzweifelt schnappt er erstickend nach Luft. Und saugt die stickige Zimmerluft in seine Lungen. Prompt muss er kräftig husten, fällt auf die Knie und ringt nach Luft. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, öffnet er langsam die Augen. Er hatte erwartet zu ersticken, zu sterben. Der Tod war vor ihm gelegen. Was nun vor seinen Augen liegt ist ihm unbegreiflich. Er kneift die Augen zusammen, aber nachdem er sie wieder geöffnet hatte war er immer noch von einer glänzenden, durchsichtigen Blase umgeben. Überrascht schnaubt er auf. Was ging nur vor sich? Er kratzte sich am Hinterkopf. Verstehen tat er rein gar nicht mehr. Vorsichtig streckt er seine Hand aus und berührt die Innenwand. Sie fühlt sich warm an, ganz so als würde Leben in ihr stecken. Er zieht einen Kugelschreiber aus der Tasche und stößt ihn kräftig in die Wand. Nichts weiter geschieht, als das sich die Wand ausdehnt und dann denn Stift einfach zurück schnellen lässt. Er lehnt sich versuchsweise gegen die Blase, aber sie dehnt sich nur einen halben Meter, ehe sie ihn sanft zurück drückt. Als er sich dagegen wirft, ist das Ergebnis das gleiche. Seufzend setzt er sich. Summend beginnt der Seismograph die geraden Linien zu verlassen und kräftig auszuschlagen. Seine Augenbrauen heben sich und er lacht freudlos auf. Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Da wartete er sein halbes Leben darauf, dass eben dies geschieht und nun ist er unfähig sich auch nur einen Meter vorwärts zu bewegen. Verzweifelt lacht er abermals auf. Gefangen ist er dazu verdammt, tatenlos zuzusehen. Ein leichtes Rütteln erfasst das Gebäude. Das Telefon klingelt sturm. Kleine Teile Putz fallen von der Decke und zerbersten auf dem Boden, an den Wänden der Blase. Ungerührt umgibt sie ihn, warm pulsierend. Das Rütteln wird stärker, dehnt sich zu einem Beben aus. Größere Teile der Decke lösen sich und fallen zu Boden. Rissen ziehen sich Schlangen gleich durch Boden und Wände. Erst vereinzelt, dann bricht alles unaufhaltsam zusammen. Das Mondlicht dringt durch die Löcher der Decke und sprenkelt den rissigen Boden mit kaltem, fahlem Licht. Alles verharrt in unglaublich bedrohlicher Stille. In einem unendlich langsamen Augenblick verliert seine Umgebung jegliche Farbe. Die Welt war weiß. Farblos. Im Bruchteil eines Moments explodiert Alles. Wird verschlungen von einer gigantischen Feuerbrunst. Alles wandelt sich zu Asche. Eine Wüste aus Trümmern, gekrönt durch eine Flammenblüte. Dann. Nichts als Schwärze umgibt ihn, nur tiefste Finsternis. Langsam, wärmend beginnt die Blase zu glühen, zu leuchten. Bedächtig löst sie sich vom Grund, lässt die Wolke aus Staub unter sich und strebt höher und immer höher. Als er herab blickt erstreckt sich unter ihm die Ruine der Welt, die immer kleiner und kleiner werdend, schließlich völlig verschwindet. Während er gefangen, gerettet in dieser Blase in die Dunkelheit der Unendlichkeit strebt. Umgeben von nichts als Stille.
Ein Atemzug

Er schloss die Augen. Langsam wurde das Rauschen der Gespräche leiser und leiser, bis es schließlich vollends verstummte. Mehrmals atmete er ein und wieder aus. Sein Herz schlug im Takt des monotonen Klicken des Metronom vor seinem inneren Auge. Sanft hörte er das Blut durch seine Adern pulsieren, es leise in seinen Ohren rauschen. Vorsichtig öffnete er seine Augen. Noch umgeben von all den Menschen, sah er nur mehr die Bewegungen ihrer Lippen, leichte bis angeregte Gestiken. Die Augen neugierig auf ihr Gegenüber gerichtet: Mal schweifen lassend und glasig vom Alkohol der durch ihre Adern strömte und die Wangen rötete. Dann wieder abwesend gelangweilte, teils auch verstörte, oder entnervte Blicke.
Freundlich lächelnd stellte die Kellnerin eine Kanne Tee vor ihn. Auch er lächelte und nickte langsam ein Danke. Er blickte ihr nach, als sie ging. Ihre innere Ruhe faszinierte ihn. Sie verschwand um eine Ecke und er ließ seinen Blick wieder schweifen. Erforschte jedes Gesicht, folgte dem Treiben ihrer Augen, Lippen, Wangenmuskeln. Wie die Hände Bilder in die Luft zeichneten, ein stetes Vor- und Zurücklehnen, das nervöse und ruhige Sitzen oder Wippen im Takt der Musik. Es war unglaublich belebend. Gespannt beobachtete er, wie die Bewegungen erst langsamer und langsamer wurden, um schließlich in einer Momentaufnahme eingefroren zu werden. Es war ein lebendiger Stillstand. Wie in einer Fotografie saßen Menschen in verschiedenster Pose festgehalten. Trinkend, redend, lachend, versonnen oder traurig. Selbst die verschlungenen Wirbel des Dampfes seines Tees waren zu einer weichen, Watte artigen Masse gewandelt. Die Fäden der Musik durchdrangen, durchwoben den Raum, umschmeichelten die Gäste und drangen dann durch kleine Ritzen, Lücken, Spalten hinaus in die kühle Nacht. Langsam, vorsichtig stand er auf, um nicht dieses friedlich, gläserne Konstrukt der Stille, des Stillstandes zu zerstören. Mit sanfter Bewegung wischte er den bläulichen Dunst der Zigaretten beiseite und trat in das Lokal. Lächelnd wand er sich durch die Tische. Veränderte hier und dort einen Ton der Musik, auf dass er harmonischer, bewegender wurde, ergriff einen Lichtstrahl und legte ihn liebevoll auf das Profil einer schönen Frau, dass ihre Züge besser zur Geltung kamen. Er fühlte sich wie ein Maler, der durch sein Gemälde schwamm und sein möglichstes Tat, dem festgehaltenen Moment ein wenig mehr Perfektion zu schenken. So erschuf er nach und nach ein Bild friedlichster Harmonie. Als er an einen Tisch kam, an dem eine einzelne Frau saß, hielt er unwillkürlich inne. Sein Herz schlug aufgeregter, ohne, dass er den Grund benennen konnte. Zaghaft wischte er den Rauch, der ihre Gesichtszüge verborgen hielt, davon und blickte in die Augen einer ihn außergewöhnlich fesselnden Frau. Grasgrüne Augen blickten neugierig auf den Platz, an dem er gesessen hatte, die Lippen zu einem sanften Lächeln geformt. Elegant floss tiefschwarzes Haar das Gesicht umrahmend um ihre Schultern. Er setzte sich vor sie. Entdeckte kleine Lachfalten um die Augen, schwach bläuliche Augenringe versteckt unter einer leichten Schicht aus Makeup. Kleine, smaragdgrüne Ohrringe, fast verborgen unter den Wellen ihrer Haare. Bewunderte die Art und Weise, wie sie mit abgewinkeltem Handgelenk, den Arm auf den Tisch gestützt, die Zigarette hielt. Wollte ihr über die leicht geröteten Wange streichen, traute sich jedoch nicht und zog die Hand wieder zurück. Eindringlich schienen ihn ihre Augen zu betrachten, dass er wohlig lächelte. Er wollte sie fragen, wie sie hieß, wer sie war, warum sie hier war. Aber sie war erstarrt, und somit unerreichbar. Der sie umwerbende Rauch ließ sie surreal erscheinen, wie ein Wesen einer anderen Welt.
Er blickte sich wieder um und seufze tief, die Schultern hängen lassend. Dieser Moment war unbeschreiblich schön, aber das, was ihm fehlte war das Vergängliche, das Lebendige.Er wusste nicht zu sagen, wie viel Zeit er schon damit verbracht hatte einen Moment zu zeichnen, der nur dann vollkommen war, wenn er ihn losließ. Wankend ging er unsicher wieder zurück an seinen Platz in der Ecke des Lokals, erwiderte noch ein letztes Mal den Blick der grünen Augen, ehe er sich langsam setze und die Augen schloss. Tief sog er die Luft ein, als er sie vorsichtig wieder öffnete. Eine Flut der Geräusche überrannte ihn. Alle Menschen bewegten sie wie im Zeitraffer unaufhaltsam schnell. Noch bevor er zu jener Frau blicken konnte hatte sie schon gezahlt und war gegangen. Schnell und immer schneller leerten sich alle Tische, bis er schließlich als Einziger in einem leeren, abgedunkelten Lokal saß. -