Ein Atemzug
Er schloss die
Augen. Langsam wurde das Rauschen der Gespräche leiser und leiser,
bis es schließlich vollends verstummte. Mehrmals atmete er ein und
wieder aus. Sein Herz schlug im Takt des monotonen Klicken des
Metronom vor seinem inneren Auge. Sanft hörte er das Blut durch
seine Adern pulsieren, es leise in seinen Ohren rauschen. Vorsichtig
öffnete er seine Augen. Noch umgeben von all den Menschen, sah er
nur mehr die Bewegungen ihrer Lippen, leichte bis angeregte Gestiken.
Die Augen neugierig auf ihr Gegenüber gerichtet: Mal schweifen
lassend und glasig vom Alkohol der durch ihre Adern strömte und die
Wangen rötete. Dann wieder abwesend gelangweilte, teils auch
verstörte, oder entnervte Blicke.
Freundlich lächelnd
stellte die Kellnerin eine Kanne Tee vor ihn. Auch er lächelte und
nickte langsam ein Danke. Er blickte ihr nach, als sie ging. Ihre
innere Ruhe faszinierte ihn. Sie verschwand um eine Ecke und er ließ
seinen Blick wieder schweifen. Erforschte jedes Gesicht, folgte dem
Treiben ihrer Augen, Lippen, Wangenmuskeln. Wie die Hände Bilder in
die Luft zeichneten, ein stetes Vor- und Zurücklehnen, das nervöse
und ruhige Sitzen oder Wippen im Takt der Musik. Es war unglaublich
belebend. Gespannt beobachtete er, wie die Bewegungen erst langsamer
und langsamer wurden, um schließlich in einer Momentaufnahme
eingefroren zu werden. Es war ein lebendiger Stillstand. Wie in einer
Fotografie saßen Menschen in verschiedenster Pose festgehalten.
Trinkend, redend, lachend, versonnen oder traurig. Selbst die
verschlungenen Wirbel des Dampfes seines Tees waren zu einer weichen,
Watte artigen Masse gewandelt. Die Fäden der Musik durchdrangen,
durchwoben den Raum, umschmeichelten die Gäste und drangen dann
durch kleine Ritzen, Lücken, Spalten hinaus in die kühle Nacht.
Langsam, vorsichtig stand er auf, um nicht dieses friedlich, gläserne
Konstrukt der Stille, des Stillstandes zu zerstören. Mit sanfter
Bewegung wischte er den bläulichen Dunst der Zigaretten beiseite und
trat in das Lokal. Lächelnd wand er sich durch die Tische.
Veränderte hier und dort einen Ton der Musik, auf dass er
harmonischer, bewegender wurde, ergriff einen Lichtstrahl und legte
ihn liebevoll auf das Profil einer schönen Frau, dass ihre Züge
besser zur Geltung kamen. Er fühlte sich wie ein Maler, der durch
sein Gemälde schwamm und sein möglichstes Tat, dem festgehaltenen
Moment ein wenig mehr Perfektion zu schenken. So erschuf er nach und
nach ein Bild friedlichster Harmonie. Als er an einen Tisch kam, an
dem eine einzelne Frau saß, hielt er unwillkürlich inne. Sein Herz
schlug aufgeregter, ohne, dass er den Grund benennen konnte. Zaghaft
wischte er den Rauch, der ihre Gesichtszüge verborgen hielt, davon
und blickte in die Augen einer ihn außergewöhnlich fesselnden Frau.
Grasgrüne Augen blickten neugierig auf den Platz, an dem er gesessen
hatte, die Lippen zu einem sanften Lächeln geformt. Elegant floss
tiefschwarzes Haar das Gesicht umrahmend um ihre Schultern. Er setzte
sich vor sie. Entdeckte kleine Lachfalten um die Augen, schwach
bläuliche Augenringe versteckt unter einer leichten Schicht aus
Makeup. Kleine, smaragdgrüne Ohrringe, fast verborgen unter den
Wellen ihrer Haare. Bewunderte die Art und Weise, wie sie mit
abgewinkeltem Handgelenk, den Arm auf den Tisch gestützt, die
Zigarette hielt. Wollte ihr über die leicht geröteten Wange
streichen, traute sich jedoch nicht und zog die Hand wieder zurück.
Eindringlich schienen ihn ihre Augen zu betrachten, dass er wohlig
lächelte. Er wollte sie fragen, wie sie hieß, wer sie war, warum
sie hier war. Aber sie war erstarrt, und somit unerreichbar. Der sie
umwerbende Rauch ließ sie surreal erscheinen, wie ein Wesen einer
anderen Welt.
Er blickte sich
wieder um und seufze tief, die Schultern hängen lassend. Dieser
Moment war unbeschreiblich schön, aber das, was ihm fehlte war das
Vergängliche, das Lebendige.Er wusste nicht zu sagen, wie viel Zeit
er schon damit verbracht hatte einen Moment zu zeichnen, der nur dann
vollkommen war, wenn er ihn losließ. Wankend ging er unsicher wieder
zurück an seinen Platz in der Ecke des Lokals, erwiderte noch ein
letztes Mal den Blick der grünen Augen, ehe er sich langsam setze
und die Augen schloss. Tief sog er die Luft ein, als er sie
vorsichtig wieder öffnete. Eine Flut der Geräusche überrannte ihn.
Alle Menschen bewegten sie wie im Zeitraffer unaufhaltsam schnell.
Noch bevor er zu jener Frau blicken konnte hatte sie schon gezahlt
und war gegangen. Schnell und immer schneller leerten sich alle
Tische, bis er schließlich als Einziger in einem leeren,
abgedunkelten Lokal saß. -
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