Dienstag, 24. März 2015

Ein Tag, wie jeder Andere.

Stille. Ab und an das Rascheln von Seiten. Das Telefon klingelt ungehört in der leeren Wohnung. Nach einigen Minuten gibt der Anrufer auf, wirft alles wieder in gewohnte Stille. Schlafzimmer und Küche sind in Dunkelheit getaucht, nur aus dem Arbeitszimmer dringt der schwache, fahle Schein einer einzelnen Lampe. Sie steht auf einem Tisch, beleuchtet den Seismographen, wie er beharrlich und stumm seine geraden Linien fährt. Auch ist das Buch in den Händen des jungen Mannes gerade zum Lesen ausreichend in Licht getaucht. Eine Seite wird raschelnd umgeblättert. Blind greift er nach der Kaffeetasse und nimmt einen Schluck. Mit angewiderter Miene wird sie jedoch achtlos wieder auf den Tisch gestellt. Den Kaffee lauwarm zu nennen wäre noch ein Kompliment gewesen. Zeitlupen gleich fällt die Tasse um und sprenkelt den Tisch mit dunkel braunen Flecken. Seufzend blickt er von seinem Buch auf und folgt gelangweilt dem Werken des Seismographen. Ein resigniertes Kopfschütteln. Er zieht eine schlanke Zigarette aus der Brusttasche seines ausgeblichenen Hemdes. Die ursprüngliche Farbe lässt sich nicht einmal erahnen. Das Klicken des Feuerzeugs hallt durch die Wohnung. Kurz sind seine traurigen, müden Gesichtszüge in dichten, blauen Dunst gehüllt. Verborgen sind die tiefen Augenringe und die vom Schlafmangel geröteten Augen. Die kleine Schreibtischlampe lässt die Furchen auf seiner Stirn noch tiefer erscheinen und das lange fettige Haar ist im Schatten nur zu erahnen. Genervt stöhnend lehnt er sich im Bürostuhl zurück und blickt an die Decke. Sie ist vom Alter fleckig und hier und da blättert der Putz von den Wänden. Die Zigarette wird im überquellenden Aschenbecher ausgedrückt, überall auf dem Tisch liegen bereits die Zigarettenstummel verteilt. Einige Fliegen sitzen auf den Resten einer kalten, alten Pizza. Er steht auf und geht seine Muskeln lockernd hinüber zum Fenster. Der Blick hinaus muntert nicht wirklich auf. Finsternis, eine Hauswand, keinen Meter vor ihm. In der spärlich beleuchteten Gasse unter ihm sammelt sich der Müll vieler Generation, keiner hatte sich je die Mühe gemacht ihn wegzuräumen und so wuchs und wuchs er mit den Anwohnern. Er schließt das Fenster und dreht sich um, um wieder an seinen gewohnten Platz zu wanken. Aber etwas hatte sich verändert. Sein Herz beginnt schneller und schneller zu schlagen, noch ehe er ahnt, dass etwas nicht stimmt. Er kann sich nicht bewegen. Etwas hält ihn am Boden. Erschrocken schreit er auf. Eine Flüssigkeit. Sie kriecht an ihm empor, umgibt seine Beine. Verzweifelt versucht er sie loszuwerden. Abzureißen. Abzuschütteln. Vergebens. Sein Herz springt beinahe aus seiner Brust. Adrenalin pumpt, schießt durch seine Adern. Er wirft sich hin und her, unfähig etwas zu ändern, ohnmächtig. Sie hatte nun seine Brust erreicht Kriecht immer weiter, ummantelt seinen Oberkörper, strebt seinen Hals empor. Tief atmet er ein und seufzt gedehnt. Als er die Augen schließt, verschlingt die Flüssigkeit seinen Kopf. Das Blut rauscht in seinen Ohren. Warm pulsiert, prickelt seine Haut. Verzweifelt schnappt er erstickend nach Luft. Und saugt die stickige Zimmerluft in seine Lungen. Prompt muss er kräftig husten, fällt auf die Knie und ringt nach Luft. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, öffnet er langsam die Augen. Er hatte erwartet zu ersticken, zu sterben. Der Tod war vor ihm gelegen. Was nun vor seinen Augen liegt ist ihm unbegreiflich. Er kneift die Augen zusammen, aber nachdem er sie wieder geöffnet hatte war er immer noch von einer glänzenden, durchsichtigen Blase umgeben. Überrascht schnaubt er auf. Was ging nur vor sich? Er kratzte sich am Hinterkopf. Verstehen tat er rein gar nicht mehr. Vorsichtig streckt er seine Hand aus und berührt die Innenwand. Sie fühlt sich warm an, ganz so als würde Leben in ihr stecken. Er zieht einen Kugelschreiber aus der Tasche und stößt ihn kräftig in die Wand. Nichts weiter geschieht, als das sich die Wand ausdehnt und dann denn Stift einfach zurück schnellen lässt. Er lehnt sich versuchsweise gegen die Blase, aber sie dehnt sich nur einen halben Meter, ehe sie ihn sanft zurück drückt. Als er sich dagegen wirft, ist das Ergebnis das gleiche. Seufzend setzt er sich. Summend beginnt der Seismograph die geraden Linien zu verlassen und kräftig auszuschlagen. Seine Augenbrauen heben sich und er lacht freudlos auf. Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Da wartete er sein halbes Leben darauf, dass eben dies geschieht und nun ist er unfähig sich auch nur einen Meter vorwärts zu bewegen. Verzweifelt lacht er abermals auf. Gefangen ist er dazu verdammt, tatenlos zuzusehen. Ein leichtes Rütteln erfasst das Gebäude. Das Telefon klingelt sturm. Kleine Teile Putz fallen von der Decke und zerbersten auf dem Boden, an den Wänden der Blase. Ungerührt umgibt sie ihn, warm pulsierend. Das Rütteln wird stärker, dehnt sich zu einem Beben aus. Größere Teile der Decke lösen sich und fallen zu Boden. Rissen ziehen sich Schlangen gleich durch Boden und Wände. Erst vereinzelt, dann bricht alles unaufhaltsam zusammen. Das Mondlicht dringt durch die Löcher der Decke und sprenkelt den rissigen Boden mit kaltem, fahlem Licht. Alles verharrt in unglaublich bedrohlicher Stille. In einem unendlich langsamen Augenblick verliert seine Umgebung jegliche Farbe. Die Welt war weiß. Farblos. Im Bruchteil eines Moments explodiert Alles. Wird verschlungen von einer gigantischen Feuerbrunst. Alles wandelt sich zu Asche. Eine Wüste aus Trümmern, gekrönt durch eine Flammenblüte. Dann. Nichts als Schwärze umgibt ihn, nur tiefste Finsternis. Langsam, wärmend beginnt die Blase zu glühen, zu leuchten. Bedächtig löst sie sich vom Grund, lässt die Wolke aus Staub unter sich und strebt höher und immer höher. Als er herab blickt erstreckt sich unter ihm die Ruine der Welt, die immer kleiner und kleiner werdend, schließlich völlig verschwindet. Während er gefangen, gerettet in dieser Blase in die Dunkelheit der Unendlichkeit strebt. Umgeben von nichts als Stille.

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